Sich in ungezwungenem Rahmen über Bücher austauschen, Lesetipps empfangen, eine Kritik wagen, sich überzeugen lassen, lesen, auslesen, vorlesen, diskutieren …Mach mit bei den Leselustigen. Tauche ein in die wunderbaren, poetischen, lehrreichen, ins Denken bringenden literarischen Welten jeden Genres und aus mehreren Epochen.
Wir treffen uns monatlich zum lustvollen Book-Talk. Jeder Mensch ist herzlich willkommen. Weitere Infos bei Amira: 076
250 05 58.
Für alle, die nicht dabei sein können, sind die Büchertipps der Leselustigen
auch bei Bücher Lüthy in Grenchen präsent.
Wir treffen uns am 19. Dezember um 19 Uhr bei Yvonne Kieliger am Hofweg 35 in Grenchen. Interessierte sind herzlich willkommen!
Vom Sofa aus reisen… warm zugedeckt, mit einem feinen Tee oder einem Glas Wein: das kann man mit den Büchern, die wir Leselustigen einander im November vorgestellt haben: in ein Juradorf in der Schweiz, nach Südkorea nahe der nordkoreanischen Grenze, an einen Gerichtsprozess in Deutschland, in die Chicago Public Library, in ein Bergdorf im Apennin. Einfach und bequem. Berührend und herzerwärmend.
Im eiskalten Sokcho, einem Küstenort in Südkorea, begegnen sie sich: die junge Angestellte der Pension und der Künstler aus der Normandie. Während er die Stille von Sokcho zum Zeichnen sucht, möchte sie ihr entfliehen. Mit jedem Gespräch, jedem Spaziergang durch das winterliche Nirgendwo kommen die beiden einander näher. Zwei Gestrandete, die sich nach einem Neuanfang sehnen und ihn jeder auf seine Weise wagen.
Diese liebenswerte, zartfühlend geschriebene Romanze gleicht einer kunstvollen Miniatur - so schön, so leicht, so zerbrechlich. Die Lektüre wirkt bei Amira noch lange nach und wärmt sie. Elisa Shua Dusapin schreibt schön poetisch, zart, sinnlich und subtil erotisch - man hört die Feder übers Papier fahren, riecht das Essen, das Meer und sieht die Farben und Eindrücke förmlich vor dem inneren Auge. Sie kommt beim Erzählen mit wenigen Worten aus. Warten, Schweigen und Leere prägen diesen Kurzroman und ermöglichen ein ganz besonderes Leseerlebnis.
Elisa Shua Dusapin: Ein Winter in Sokcho. Verlag Blumenbar, 2018, 144 Seiten, übersetzt aus dem Französischen von Andreas Jandl
„Wann ist Weihnachten?“ fragt Werner Wollenberger mit dieser wunderschönen, traurigen Geschichte, an die Marianna ihr Herz verloren hat. Janine ist 7-jährig und todkrank. Ihr grösster Wunsch: noch einmal Weihnachten feiern. Aber der 24. Dezember ist zu spät für sie. Deshalb wird in einem kleinen Juradorf in diesem Jahr Weihnachten bereits am 10. Dezember gefeiert, mit viel Liebe.
Die Geschichte zeigt, wie beglückend es für alle im Dorf ist, dem kranken Mädchen eine letzte Freude zu bereiten. Weihnachten als Fest der Liebe muss also nicht unbedingt am 24. Dezember stattfinden. Sondern dann, wann wir es wollen: manchmal, immer, oder nie.
Die Geschichte erschien erstmals 1957, als Leukämie noch nicht heilbar war. Als Buch lag sie 1984 vor, 2016 wurde sie neu aufgelegt.
Werner Wollenberger: Janine, fast eine Weihnachtsgeschichte. Unionsverlag, 2016, 68 Seiten.
Aus dem offenen Bücherschrank hat sich Myriam „Agnes“ von Peter Stamm gefischt. „Ich wollte schon lange etwas von ihm lesen. Jetzt hat es mir den Ärmel reingenommen.“
Ein 40-jähriger Sachbuchautor driftet durchs Leben, bis er in einer Bibliothek von Chicago der jungen Agnes begegnet. Es entwickelt sich eine Liebesgeschichte, bei der man nie genau weiss, wer wen mehr oder überhaupt liebt. Agnes möchte, dass er ein Porträt über sie schreibt, damit sie weiss, was er von ihr hält. Es zeigt sich, dass Bilder und Wirklichkeit auseinanderdriften. „Dann passieren schräge Sachen“. Die Fantasie erhält immer mehr Macht über die Liebesbeziehung.
Das Buch beginnt mit dem Satz: „Agnes ist tot.“ In klarer Sprache schildert der Ich-Erzähler, was passiert ist. Dabei kommt man den Figuren sehr nah.
Das Buch erschien erstmals 1998 und wurde vom Fischer Verlag 2011 neu aufgelegt. 2015 wurde es verfilmt.
Peter Stamm: Agnes. Fischer Verlag, 2011, 160 Seiten.
„Was hätte ich in dieser Situation vor Gericht gemacht?“ fragt sich Maya immer und immer wieder. Grund ist das erste Buch eines deutschen Autors, das auch in den USA zu einem Bestseller wurde: „Der Vorleser“ von Bernhard Schlink. In über 50 Sprachen wurde es übersetzt, durch die Verfilmung weltberühmt.
Das Buch gliedert sich in 3 Teile: im ersten steht die erotische Beziehung eines 15-Jährigen mit einer 36-Jährigen im Mittelpunkt. Sie hat ihn als Vorleser engagiert, weil sie Analphabetin ist. Ein Geheimnis, das sie hütet wie ihren Augapfel. Nach 10 Jahren ohne Kontakt trifft er sie im zweiten Teil wieder: er als Gerichtsschreiber, sie als Angeklagte in einem Holocaust-Prozess. Als Einziger kann er ermessen, dass die Anklage so nicht stimmen kann. Sie schweigt dazu. Soll er etwas sagen? Im dritten Teil ist er wieder in der Rolle des Vorlesers: er schickt ihr Kassetten, auf denen er Bücher liest, ins Gefängnis.
Maya ist tief beeindruckt: „Das Buch stimmt mich nachdenklich, ist aber lebensbejahend und vor allem wertet es nicht.“
Bernhard Schlink: Der Vorleser. Diogenes Verlag, erste Auflage 1995, zweite 2012, 208 Seiten.
Wie kommt es, dass der Geschichtenabnehmer von Gruma, einem archaischen Dorf im Apennin, jetzt in der Schweiz ist? Und was ist überhaupt ein Geschichtenabnehmer? So viel vorneweg: wenn‘s in Gruma ans Sterben geht, wird nicht der Priester gerufen, sondern der Geschichtenabnehmer. Er nimmt den Sterbenden ihre letzte Geschichte ab. Sie sterben „auserzählt“, wirken im Tod zufrieden und die Beerdigung wird zu einem Fest. Als der alte Geschichtenabnehmer Olmo stirbt, wird der 7-jährige Neri sein Nachfolger. Denn seine Tante Filippina hat bereits kurz nach seiner Geburt erkannt, dass er die Fähigkeit zum Geschichtenabnehmen hat. Weil er nichts von dem, was er am Sterbebett hört, weitersagen darf, wird er mit der Zeit fast wahnsinnig ob all der Stimmen in seinem Kopf.
Isabella hat schon mehrere Bücher von Vincenzo Todisco gelesen. Dieses hier ist ihr das liebste. „Ich sass mit Neri bei den Sterbenden, fädelte mit den Tanten Bohnen in der Küche, fuhr mit dem Onkel auf dem Motorrad, spielte mit den Kindern Fussball und sass mit den Männern in der Bar.“
Behutsam und eindringlich zugleich erzählt Vincenzo Todisco die Geschichte und lüftet das Geheimnis.
Vincenzo Todisco: Der Geschichtenabnehmer. Atlantis Literatur, 2024, 256 Seiten.
Im Oktober glich die Bücher-Auswahl der Leselustigen einer Tavolata der literarischen Art: Fantasy, Krimi, Historie, französischer Klassiker, ägyptischer Literaturnobelpreisträger, japanischer Beinahe-Literaturpreisträger und ein Schweizer Autor. Manches süffig, manches harte Kost, manches skandalös, jedes eine Delikatesse!
Über Akram El-Bahay muss man staunen! Seine wilden Fantasy- Romane sind selbst innerhalb des Genres etwas Besonderes. Dass er aber gleichzeitig auch Kinderbücher schreibt, macht den Deutsch-Ägypter definitiv zu einem aussergewöhnlichen Autor. Vom Zweiteiler «Magische Bilder» ist I. hin und weg! «Es ist schlicht unglaublich, was sich der Autor für seine Protagonisten ausdenkt.» Ort des Geschehens ist Paris. Der Hauptprotagonist, ein Fotograf, stellt plötzlich fest, dass er in und aus den Bildern Stimmen hört. Seine Fähigkeit, in die Bilder hineinzugehen, führt ihn auf eine fantastische Zeitreise, wo er sich dem Kampf gegen das Böse verschreibt. Atemberaubend erzählt, sehr empfehlenswert!
Akram El-Bahay: Magische Bilder, Band 1/2, 2023/24, Verlag Lübbe,
368/384 Seiten
Urs Berner wurde 1944 in eine Bauernfamilie geboren und arbeitete als Lehrer, Journalist und Autor. «Wunschzeiten» (vergriffen) erschien 1985 und erzählt die Geschichte von Rosmarie, welche als Primarlehrerin tätig und verheiratet ist und somit in «geordneten Verhältnissen» lebt. Doch Rosmarie will aus diesen kleinbürgerlichen, spiessigen Strukturen ausbrechen, verlässt ihren Mann und gibt ihren bürgerlichen Beruf auf – um fortan in der Dorfbeiz im Service zu arbeiten. Dort kommt sie nun mit ganz anderen Menschen und Realitäten in Kontakt. M. ist besonders beeindruckt, wie es dem Autor gelingt, sich in seine weibliche Figur hineinzudenken. Ein Sittengemälde und Abbild des Geschlechterdiskurses in der Schweiz der 80er Jahre.
Urs Berner: Wunschzeiten, 1985, Benziger Verlag, 248 Seiten (vergriffen)
Nagib Machfus (1911–2006) ist der bisher einzige Literaturnobelpreisträger aus dem arabischen Raum. Allein das macht seine Bücher zu einem Lese-Muss für diejenigen, die etwas über die Lebensverhältnisse in Ägypten erfahren wollen. Seine Themen sind damals wie heute aktuell: Wie lassen sich Tradition und Moderne verbinden? Wie gelingt es, dass unterschiedliche Religionsgemeinschaften, verschiedene politische Auffassungen und soziale Klassen friedlich zusammenleben? Die Stärke von Machfus ist es, mit grosser Menschlichkeit hinter die Geschichten der Protagonisten zu blicken und dabei doch nicht belehrend zu wirken. Viele seiner Bücher wurden verfilmt. Im Unionsverlag erschien das gesamte Werk des Autors, in deutscher Übersetzung von Doris Kilias.
Die Kinder unseres Viertels (1991), Unionsverlag, Neuauflage 2018, 576 Seiten
Ingrid Noll (geb. 1935) ist zweifelsohne eine der erfolgreichsten deutschsprachigen Krimi-Autorinnen. Alle ihre Bücher, die praktisch im Zweijahresrhythmus erscheinen, hat sie im Zürcher Diogenes Verlag veröffentlicht. Auch in ihrem neuesten Buch «Gruss aus der Küche» bleibt Noll ihrem sarkastischen Erzählstil treu. «Böse bis zum geht nicht mehr», befindet M., schreibe Noll über menschliche Abgründe, über Enttäuschung und Rache. Dabei gehe es vordergründig weniger um das Auflösen eines Mordfalls als vielmehr um die dahinter stehende Frage des Motivs. Dass Noll hier mit einen besonderen Blick auf Frauen schreibt, macht ihre Bücher für ein weibliches Publikum besonders reizvoll.
Ingrid Noll, Gruss aus der Küche, Diogenes Verlag 2024, 304 Seiten
Christine de Pizan (1364–1429 war eine venezianische Schriftstellerin und Philosophin und gilt als die erste Autorin, die vom Schreiben leben konnte. Das 1404/05 entstandene «Buch von der Stadt der Frauen» ist ihr berühmtestes Werk, ein Klassiker der Weltliteratur. Das Buch ist eine so kluge wie witzige Streitschrift gegen Hatespeech aus der Feder frauenfeindlicher Autoren. Dagegen errichtet die Autorin eine Festung aus Bausteinen in Gestalt beispielhafter Geschichten über ideale Formen von Weiblichkeit – über Herrscherinnen, Kriegerinnen, Künstlerinnen, Dichterinnen oder Erfinderinnen. Ausserdem debattiert sie mit den drei Allegorien Gerechtigkeit, Rechtschaffenheit und Vernunft über Probleme wie verbale und physische Gewalt gegen Frauen oder deren erschwerten Zugang zu Bildung.
Christine de Pizan, Das Buch von der Stadt der Frauen, 2024, Aviva Verlag, 376 Seiten
Junichiro Tanizaki (1886–1965) ist einer der bedeutendsten Autoren Japans. Er war mehrmals in Diskussion für den Literaturnobelpreis. Sein raffinierter Skandalroman gilt als Meilenstein in seinem literarischen Werk. Darin schildert er die Geschichte einer langjährigen Ehe, die von Frust und mangelnder Leidenschaft geprägt ist. Erst als ein Schlüssel zu einem geheimen Tagebuch auftaucht, kommen die unterdrückten Obsessionen und Sehnsüchte zutage – mit fatalen Folgen. «Ich schreibe dies nieder, weil ich es nicht mehr ertrage, nicht direkt mit ihr über die Intimitäten unseres Schlafzimmers sprechen zu können. Von nun an werde ich ohne Rücksicht darauf, ob sie es heimlich lesen wird, so schreiben, als spräche ich zu ihr.»
Junichiro Tanizaki, Der Schlüssel (orig. 1956), Kein&Aber 2016/ 2023, 192 Seiten
Voller unbefriedigter Wünsche vegetiert die verschlossene, aber sinnliche Thérèse an der Seite eines kränklichen und törichten Ehemannes dahin. Als ihr dieser eines Tages seinen alten Schulfreund Laurent vorstellt, kommt es zu einer unerwarteten Entwicklung. Im Aufeinanderprallen zweier zügelloser Temperamente entfesselt sich ein Drama von Ehebruch, Mord und Hysterie. Für die Zeitgenossen war Zolas «Studie menschlicher Triebhaftigkeit» skandalös und faszinierend zugleich. Sie gilt heute als erster naturalistischer Roman, als Beginn einer neuen Epoche.
Emile Zola (1840–1902) ist einer der grossen französischen Romanciers des 19. Jahrhunderts und Leitfigur und Begründer der gesamteuropäischen literarischen Strömung des Naturalismus. Sein Artikel «J’accuse…!» (Ich klage an…!) spielte eine Schlüsselrolle in der Dreyfus-Affäre und trug entscheidend zur späteren Rehabilitierung des fälschlich wegen Landesverrats verurteilten Offiziers Alfred Dreyfus bei.
Emile Zola, Thérèse Raquin (Neuauflage 2008, herausgegeben von Wolfgang Tschöke), dtv Verlag, 272 Seiten